Zu Beginn des Schuljahres 2024/25 widmeten sich die Schülerinnen und Schüler aus dem Geschichtsprojekt der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte Chemnitz einer schwierigen Aufgabe. Sie schrieben Texte für die Stelen, die den inklusiven Lern- und Gedenkort mit Informationen bereichern sollen.
Grundlage der entstandenen Texte waren dabei aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Archivalien zur Geschichte der ehemaligen Landeserziehungsanstalt Chemnitz-Altendorf.
Ein Beispiel der verwendeten Quellen ist ein Auszug aus dem Geschäftsbericht von 1938:
„Von April an mußten die Schulklassen völlig umgestellt werden. Es war sehr schwer, aus den vorhandenen Schulkindern… Klassenzüge zu bilden, in denen sich eine fördernde Arbeit möglich machte. Der jetzige Schulbetrieb ist auf das äußerste reduziert, weitere Einsparungen sind nicht möglich.“
Die Schülerinnen und Schüler erarbeiteten sich zunächst Stichpunkte mit den wichtigsten Inhalten.



Anhand der Stichpunkte entstanden im November 2024 Texte zu den Themen Zwangssterilisation und Versorgung.
Zwangssterilisation
Ab dem Jahr 1934 wurden Zwangssterilisierungen im Krankhaus der Einrichtung, welches sich im Haus 40 befand, und anderen Krankenhäusern der Stadt Chemnitz durchgeführt.
Zuständig für die Beantragung der Sterilisationen beim Erbgesundheitsgericht war Anstaltsleiter Dr. Walter Kürbitz.
Er bemühte sich, die Eltern der Zöglinge von den Vorteilen der Sterilisation zu überzeugen.
Aufgrund dessen wurden 393 Zöglinge der Landeserziehungsanstalt Chemnitz-Altendorf sterilisiert – hauptsächlich aus der sogenannten Schwachsinnigenabteilung.
Mit blinden, erwachsenen Zöglingen wurden Beratungen durchgeführt, um sie von einer freiwilligen Sterilisation zu überzeugen, da viele an einer erblich bedingten Blindheit zweifelten.
Versorgung
Die Essensversorgung von staatlichen Eirichtung wurde vom Staat finanziert. Im Jahr 1929 lag der Kostsatz bei 80 Reichspfennig pro Person am Tag.
Steigende Preise machten es jedoch zunehmend schwieriger, die Kinder angemessen zu versorgen, da die Kostensätze trotz der Inflation gleich blieben.
Am 13.04.1938 wurde gesetzlich die Einführung einer Sonderkost für die untere Verpflegklasse der arbeitsunfähigen Zöglinge geregelt. Diese verbilligte Kost beinhaltete weniger Fleisch, keinen Braten und kein Kompott – außer an Sonn- und Feiertagen.
Mit Beginn des Krieges wird die nährstoffarme Sonderkost auch noch stark reduziert – Abmagerung und gesundheitliche Probleme sind die Folge.
Ein besonders ansprechender Text entstand zum Thema Bildung und Erziehung im NS-Staat, für den sich die Schülerinnen und Schüler in die Lage der Kinder und Jugendlichen von damals versetzten.
Bildung und Erziehung im NS-Staat
Etwa 1933 änderten sich auf einmal viele Dinge und keiner der Lehrer sagte uns etwas – also mussten wir selbst rätseln, denn von der Politik und den Dingen außerhalb der Anstalt bekamen wir nichts mit. Irgendwann dann gab uns eine Betreuerin einen Hinweis und wir stellten Vermutungen an. Als sich dann eines Abends zwei Lehrer über den Anstaltsarzt Dr. Lange unterhielten, hörten wir heimlich zu und fanden heraus, dass er eine Denkschrift1 geschrieben hat. Wir haben leider nicht verstanden, um was es in der Denkschrift ging, also mussten wir weiter mutmaßen. Nach und nach saßen viel mehr Schüler in unserer Klasse und das Lernen fiel uns zunehmend schwerer – wegen der Lautstärke, zu wenigen Materialen und für einzelne von uns gab es nicht genug Hilfe. Die Klassenräume waren auch irgendwann zu voll, denn an einem Tisch saßen nun 2 bis 3 Personen und auch so wurde es für uns alle unangenehm. Unsere Lehrer waren sehr bemüht uns allen etwas beizubringen, aber die NSDAP fand das nicht gut. Später besuchten auch schwachsinnige Schüler in unserer Klasse, weil für sie kein individueller Unterricht mehr möglich war. Den Lehrern und auch uns Schülern fällt diese Umstellung sehr schwer. Heute im Jahr 1938 wird es immer schlimmer, weil ein normaler Unterricht wegen der Zusammenlegung verschiedener Klassen gar nicht mehr möglich ist. So sollen nun alle schwachsinnigen Kinder vom Unterricht ausgeschlossen werden. Auch unsere Berufsausbildung ist schlechter geworden, weil das Personal fehlte und wir nur noch als billige Arbeitskräfte dienen, wie zum Beispiel beim Wischen des Bodens und Bettenbeziehen. Wir Zöglinge müssen alles selbst machen, denn hier im Gelände kümmert sich keiner um uns und die Lehrer interessieret es nicht, wenn mit uns irgendetwas ist. Das stört uns alle sehr, weil wir etwas lernen wollen. Aber unsere Zukunft scheint ungewiss.
Viele Textpassagen sind zu Grundlagen für die digitalen Steleninhalte geworden.
Vielen Dank
für die fleißige Unterstützung
an das Geschichtsprojekt der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte Chemnitz!
