„Wohin bringt ihr uns?”
Der „Euthanasie-Aktion” der Nationalsozialisten fielen während des Zweiten Weltkriegs mehr als 300.000 psychisch Kranke und behinderte Menschen zum Opfer. Sie galten als „lebensunwert”. Allein in den staatlichen Heilanstalten starben bis Kriegsende mindestens 90.000 Patienten durch Hunger und schlechte Versorgung oder sie wurden mit Medikamenten ermordet. Mehr als 70.000 Männer, Frauen und Kinder wurden 1940/41 in der Geheimaktion „T4” in sechs Tötungsanstalten vergast.
In der Tiergartenstraße Nr. 4 in Berlin – daher die Abkürzung „T4” – wurde der Massenmord zentral organisiert. Die „Euthanasie“-Anstalten waren in Grafeneck, Brandenburg, Bernburg, Hartheim bei Linz, Pirna-Sonnenstein und Hadamar. Ein Teil des Personals dieser Tötungsanstalten arbeitete später in den Vernichtungslagern von Auschwitz, Treblinka, Sobibor und Belzec. Es gibt kaum eine größere Gemeinde in Deutschland, in der nicht Opfer des organisierten Krankenmordes zu beklagen sind. Das „Denkmal der Grauen Busse” erinnert an die Todestransporte der Patienten.
Die Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz haben dieses Mahnmal 2006 für das Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau bei Ravensburg geschaffen. Ein in Originalgröße in Beton gegossener Bus des gleichen Typs, wie er in den Jahren 1940 und 1941 von den Pflegeanstalten zu den Tötungsanstalten fuhr, erinnert an den Massenmord. Dem Denkmalbus eingeschrieben ist das Zitat: „Wohin bringt ihr uns?”, die überlieferte Frage eines Patienten. Mit dieser Arbeit wird nicht nur den Opfern des „Euthanasie“-Mordes ein Denkmal gesetzt; es werden auch Tat und Täter reflektiert, indem die grauen Busse, die Werkzeuge der Täter, als Transportmittel der Erinnerung genutzt werden. Der 70 Tonnen schwere Beton-Bus folgt dem
Verwaltungsweg der „Euthanasie”- Morde, markiert Orte der Opfer und der Täter, und verlässt sie wieder. Der Graue Bus verbleibt so lange an seinem jeweiligen Aufstellungsort, wie Initiativen und Gemeinden dies untereinander vereinbaren. Der Transport wird durch Spenden und öffentliche Mittel finanziert. Entscheidend ist, dass das Denkmal in Bewegung bleibt.
Das Denkmal in Bewegung
Ein Denkmal-Bus blockiert dauerhaft die alte Pforte der ehemaligen Heilanstalt Ravensburg – Weißenau, von wo aus die Busse in die Tötungsanstalt Grafeneck fuhren. Ein zweiter identischer grauer Denkmal-Bus wechselt seine Standorte sowohl entlang der Verwaltungswege der „T4-Aktion“ als auch der historischen Fahrstrecken der Todesbusse.
Das Denkmal in Chemnitz
Das Denkmal der Grauen Busse – ein Symbol der Erinnerung und Mahnung – wird im Kulturhauptstadtjahr 2025 in Chemnitz durch die SFZ Förderzentrum gGmbH sichtbar gemacht.
Vom 27. Januar bis 3. Dezember 2025 erinnert das Denkmal der Grauen Busse vor der Einrichtung in der Flemmingstraße 8c an die Menschen mit Behinderung der ehemaligen „Königlich-Sächsischen Landeserziehungsanstalt für Blinde und Schwachsinnige Chemnitz-Altendorf“, die den Krankenmorden der „Aktion T4“ im Nationalsozialismus zum Opfer fielen.
Die 1905 gegründete „Königlich Sächsische Landeserziehungsanstalt für Blinde und Schwachsinnige Chemnitz-Altendorf“ integrierte neben der Blindenbildung auch die Erziehung von Schwachsinnigen. Mit Eröffnung der Einrichtung wurden 250 Blinde und 550 Schwachsinnige aufgenommen. Schwachsinnig war ein üblicher Begriff für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Die Landeserziehungsanstalt war weniger als Versorgungs- und Pflegeanstalt gedacht, sondern hatte die Bestimmung junge behinderte Menschen zu erziehen und sie zur Erwerbsfähigkeit heranzubilden.
Mit Beginn des Nationalsozialismus setzten drastische Veränderungen in der Landeserziehungsanstalt ein. Die Erziehung und Bildung der schwachsinnigen Zöglinge wurden systematisch eingestellt. Die Schwachsinnigenabteilung gewann zunehmend den Charakter einer Pflegeanstalt, die Zöglinge wurden zu Patienten erklärt.
![Historische Gesamtansicht der Königlichen Landeserziehungsanstalt zu Chemnitz](https://www.unantastbarmensch.de/wp-content/uploads/2024/12/historische-Ansicht-Einrichtung-scaled.jpg)
Gesamtansicht der Königlichen Landeserziehungsanstalt zu Chemnitz (Quelle: Deutsche Blindenanstalten in Wort und Bild, Halle a.S. 1913)
Zu den im Oktober 1939 erfassten Heil – und Pflegeanstalten in ganz Deutschland gehörte auch die Landeserziehungsanstalt in Chemnitz-Altendorf.
Aufgrund der 688 eingegangenen Meldebögen aus der Altendorfer Anstalt wurden die in der Pflegeabteilung betreuten Patienten im Mai 1940 verlegt und ihre Ermordung vorbereitet.
Zur besseren Tarnung wurden die Patienten zunächst in „Zwischenanstalten“ (Arnsdorf, Waldheim, Großschweidnitz, Zschadraß) gebracht und erst von dort in die „Sonderanstalten“, so wurden die Tötungsanstalten bezeichnet, abtransportiert. Die Patiententransporte in die Tötungsanstalten erfolgten in grau angestrichenen Bussen der Gekrat GmbH. In der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein wurden nachweislich mindestens 243 Menschen aus der Altendorfer Landeserziehungsanstalt, darunter viele Kinder und Jugendliche, mit Kohlenmonoxid umgebracht.
Die SFZ Förderzentrum gGmbH ist heute ein modernes Kompetenzzentrum, das Rehabilitation, Bildung und Beschäftigung für Menschen mit Seheinschränkung, Blindheit und Menschen im Autismusspektrum bietet. Dazu gehört auch die Aufarbeitung der Geschichte der Einrichtung.
An die Zeit des Nationalsozialismus und an die Opfer der „Euthanasie“ erinnert ein Ort des GEDENKENS im Gelände des heutigen Rehabilitationszentrums. 2007 wurde in Zusammenarbeit mit Chemnitzer Künstlern das Denkmal GEDENKEN auf dem ehemaligen Anstaltsfriedhof eröffnet. 2019 wurde mit der Verlegung von zwei Stolpersteinen an die Opfer der „Euthanasie“ aus der ehemaligen Landeserziehungsanstalt erinnert.
Im Projekt „Unantastbar Mensch“ soll der Ort des GEDENKENS zum inklusiven Lern- und Gedenkort weiterentwickelt werden.
Das Denkmal der Grauen Busse ist ein weiterer Teil der Auseinandersetzung mit der Geschichte der ehemaligen Landeserziehungsanstalt für Blinde und Schwachsinnige.
Das Denkmal der Grauen Busse bietet die Möglichkeit, sowohl die Opfer zu ehren als auch auf die Bedeutung von Inklusion und demokratische Werte hinzuweisen.
Vor allem junge Menschen sollen ermutigt werden, Fragen zur Geschichte zu stellen und Bezüge zu ihrem Leben zu finden. Die Vergangenheit kritisch reflektieren, Verantwortung übernehmen und sich für Toleranz und Respekt einsetzen, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern – das sind die Ziele der Bildungsangebote.
Eine Wanderausstellung begleitet das Denkmal der Grauen Busse und wird im SFZ Förderzentrum, in Chemnitzer Schulen und in öffentlichen Gebäuden zu sehen sein.
Der historische Teil der Ausstellung kann in den Räumen in der Rudolf- Krahl- Straße 60 besichtigt werden.
Weitere Informationen zum Begleitprogramm und zum inklusiven Lern- und Gedenkort finden Sie unter:
Das Projekt wird von der Stiftung EVZ und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Rahmen des Programms JUGEND erinnert vor Ort & engagiert gefördert.
Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Stiftung EVZ oder der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der:die Autor:in die Verantwortung.
![JE_vorOrt_engagiert_Logobar_cmyk_dt_quer](https://www.unantastbarmensch.de/wp-content/uploads/2025/01/JE_vorOrt_engagiert_Logobar_cmyk_dt_quer.jpg)